wissen wir was ein körper kann? philosophy on stage

zur Intention der Lehre

Die Kunst hat sich von ihren traditionellen Gehalten emanzipiert. Die Entlassung aus der Hierarchie der Werte beinhaltet eine Ambiguität: Einerseits Befreiung, andererseits Orientierungslosigkeit. Vielleicht verbirgt sich in dieser Ambiguität auch die Möglichkeit über das Spielerische in der Kunst ein neues Maß, eine neue Stimmigkeit und so wieder eine neue Orientierung zu gewinnen. Könnten wir nicht in das Spiel der Möglichkeiten eintreten? Könnten wir nicht in eine Offenheit statt in einen Mangel gelangen?

Lebenslang reproduzieren und installieren sich in uns Codes. Sprachspiele. In ihnen werden unsere Ansichten vom Leben fest-geschrieben. Alles Handeln, alles Fragen, alles Träumen, aller Konflikt ist an diese je eigene Codierung, Wahrnehmung und Einschätzung von Welt gebunden. Einer Codierung, die zumeist unbewusst wirksam wird. Zumeist haben wir sie nicht dechiffriert. Zumeist greifen wir unterbewusst –– als „natürlich gegeben“ -– auf sie zurück als die richtige, rechte, moralische, wahre.

Die Kunst, das Theater verlangt anderes. Das Theater nötigt in andere fremde Sprachspiele, in andere fremde Codes.

Peter Brook:
„Der Schauspieler muss anerkennen, dass die Figur, welche Rolle er auch spielen mag, mehr Ausstrahlung hat als er selbst. Es hat also keinen Zweck, dass er erklärt, so empfinde ich es. Er muss der Darstellung eines menschlichen Bildes dienen, das bedeutender ist als das, was er zu kennen meint!“
Unhintergehbar ist jede Figur ein Fremder. In diesem Fremdsein liegt die Differenz, die das kreative Feld des Schauspielers darstellt. Ein Mehr an Eksistenz öffnet sich, wächst ihm zu, beflügelt ihn – ein Mehr an Geschichte, ein Mehr an Sprachspielen.

Lässt der Schauspieler sich auf die Differenzen der Figur und ihre leibhaftigen Konsequenzen ein, wächst ihm „etwas“ zu, das ihn verändert haben wird und eben nicht in der Gleichheit zurücklässt, mit der er das Spiel begonnen hat.

In der Realisation dieses Mehr ist der Schauspieler/die Schauspielerin immer auf die Anderen, die Mitspieler verwiesen und angewiesen. Vice versa müssen sich die SchauspielerInnen auf der Bühne dieses „Mehr“ einräumen, gewähren.
Theater ist dialogisch. Ist Ensemblekunst. Yes, Mr. Reinhardt, you are totally right!

Theater könnte eine Kunst sein, in der die vielen unterschiedlichen Persönlichkeiten auf der Bühne, die vielen unterschiedlichen Codes einander nicht bekämpfen und blockieren, sondern befruchten.