Philosophie und Performance Festival // Philosophy on Stage #3 // Wittgenstein Haus Wien // 24.-27. November 2011

Abstracts zu den Performances

AGON: Memory Combat

Dieter Mersch

Dieter Mersch setzt 12 Stunden lang seine eigene Gedächtnisarbeit gegen den Speicher einen Computers. Gesprochen wird jeweils der Text Kunstmaschinen. Zur Mechanisierung von Kreativität (erschienen in: Gerhard Gamm, Andreas Hetzel (Hg.): Unbestimmbarkeitssignaturen der Technik, Bielefeld 2005, S. 149-168), der sich mit dem Turing-Test, Fragen der Entscheidbarkeit und Unentscheidbarkeit sowie der automatischen Generierung von Kreativität auseinandersetzt. Dabei wird der Computerspeicher mit künstlicher Stimme den Text in genau gleicher Form immer nur wiederholen können, während Dieter Mersch versucht, ‚seinen’ geschriebenen Text zu memorieren, um dabei laufend Differenzen zu produzieren. Wo sich am Schluss beide befinden werden, wie weit das Erinnerte und spontan Ergänzte sich vom ‚ursprünglichen’ Text entfernt haben wird und inwieweit körperliche Erschöpfung laufend ein ‚Anderes’ in die Textur sowohl des Gedächtnisses wie der schriftlichen Vorgabe einträgt, wird sich im Experiment ‚zeigen’: AGON: Memory Combat ist ein Streit, eine Kampfansage, eine wechselseitige Resistenz und Provokation, die nicht nur den Computer im Wettkampf herausfordert, sondern auch den Zuhörer.

Bodily Regimes in Performative Philosophy: The Cynics and Shamelessness

Yunus Tuncel (Lecture)

In ancient Greece, philosophy was not confined within the walls of institutions and did not consist only of the mental activities of reading, writing, talking, and lecturing. Bodily regimes, as these were part of the general culture, were also manifest in the schools of philosophy and the way they did philosophy. Despite much that is unknown about early Greek schools, we know that Pythagoreans were positioned bodily in specific ways, suggesting that they may have practiced (Yoga-like) bodily meditations around the teacher. Members of the family of Empedocles were Olympians, and the Sophists instituted agon in philosophy in the form of formalized debates. As for the Socratics, we can assume that Socrates and/or his circle of disciples, including Plato and Xenophon, practiced some form of homoeroticism. Aristotle introduced the practice of walking and talking (hence the name peripatetics), and Epicuros initiated the art of conversing in philosophy with food, wine, and socializing. Finally, the Cynics used gestures, while not relying strictly on words, to convey their teachings in their performative acts. Many of these acts went against established conventions and were shameless. In short, many bodily regimes were at the disposal of philosophical schools and cultivated by them so that they are integrated into their ways of thinking.

In my lecture I will discuss the role of shameless, transgressive Cynic acts and their role in thinking, as I focus on the Cynic attack on complacency and stagnation in thought and culture, both in mind and body. I will examine what this sort of attack and what shamelessness (perhaps a cross-section of agonism and eroticism) could have meant to the Cynics. Although the Cynic acts are the closest to what we may call ‘performance’ today, many ancient schools provided paradigms for bodily regimes, whether they are for bodily meditation, athletics and contest games, erotics, or peripatetics, for the creation of what we may call a performative philosophy. Many of these physical-thought forms provide grounds for transvaluating what Nietzsche calls “ascetic idealism,” that is the denial of the body and its idealization, in philosophy and in culture in general towards a recovery of the body in spectacle. As I make Cynic shameless interventions, I will end my presentation by drawing ideas on spectacular body from my recent book, Towards a Genealogy of Spectacle.

CORPUS DELICTI – DENKEN, EIN ORT DES VERBRECHENS

Arno Böhler // Susanne Valerie Granzer // Hans Hoffer // Wolfgang Mitterer // Chor des Max Reinhardt Seminars

Am 30. Juli 1881 schreibt Friedrich Nietzsche aus Sils-Maria eine Postkarte an seinen Freund Franz O.: „Ich bin ganz erstaunt, ganz entzückt! Ich habe einen Vorgänger und was für einen! Ich kannte Spinoza fast nicht: dass mich jetzt nach ihm verlangte, war eine ‚Instinkthandlung.’ Nicht nur, dass seine Gesamttendenz gleich der meinen ist – die Erkenntnis zum mächtigsten Affekt zu machen– in fünf Hauptpunkten seiner Lehre finde ich mich wieder […]: er leugnet die Willensfreiheit–; die Zwecke–; die sittliche Weltordnung–; das Unegoistische–; das Böse–; […] In summa: meine Einsamkeit […] ist wenigstens jetzt eine Zweisamkeit – Wunderlich! Übrigens ist mein Befinden gar nicht meinen Hoffnungen entsprechend. […] Schon 6 schwere, zwei- bis dreitägige Anfälle!! – In herzlicher Liebe, Euer Freund.“
Franz O. liest die Postkarte – wieder und wieder. Ihre Botschaft über die abgründige Zweisamkeit der beiden Denker Spinoza & Nietzsche lässt ihn nicht mehr los. Sie katapultiert ihn in eine Philosophie der Körperlichkeit, in der er das Denken als Modus des Begehrens zu denken lernt – als eine Art Streben der Körper, sich kraft ihres Denkens am Sein zu erhalten. Doch dieses Affekt-Bild des Denkens stößt beim Chor der Gesetzeshüter auf Widerspruch. Er beginnt Franz O. den Prozess zu machen.

Deleuze, philosophical diseases and the thought of illness

Laura Cull (Lecture)

Like those who inspired him – Spinoza, Nietzsche & Artaud – Deleuze experienced a poor state of health during much of his working life: beginning in 1968 with the first major episode of the pulmonary illness that would dog the philosopher’s body until his fatal defenestration in 1995. But what was the relationship, for Deleuze, between philosophy and illness, between thought and the body in poor health? In his late interview with Claire Parnet, Deleuze proposes that ‘illness sharpens a kind of vision of life or a sense of life’. Rather than merely thinking about one’s illness, one might use a fragile state of health to develop a mode of thought that is more tuned-in to life, Deleuze suggests. Alternatively, in Pure Immanence, Deleuze argues that, for Nietzsche, ‘Illness is not a motive for a thinking subject, nor is it an object for thought: it constitutes, rather, a secret intersubjectivity at the heart of a single individual’. In these ways, and indeed in Nietzsche and Philosophy, Deleuze suggests that illness need not just separate us from our power to act; ‘the same physiological state may weaken some powers but open up new possibilities of feeling or bring about new capacities for acting and being acted upon’. However, in The Logic of Sense, Deleuze also speaks of ‘philosophical diseases’; arguing that idealism, for instance ‘is the illness congenital to the Platonic philosophy’.

This paper will explore the value Deleuze attributes to illness in relation to thought as evidence of his embodied approach to philosophy. Contra Peter Hallward’s recent critique, I will argue against the idea of Deleuze’s thought as an ascetic philosophy that calls for a dissolution of the material self in order to become the adequate vessel for the passage of a dematerialised thought. Rather, I will suggest that the reason why Deleuze is interested in the thought that emerges from illness is because it involves a heightened awareness of our capacity to affect and be affected by other material bodies. At the same time, though, the paper will necessarily broach the ethical issues that arise in relation to a philosophy of illness and the risk of romanticizing suffering that it entails.

Der Körper in der Yoga-Tantrischen Philosophie

R. Sriram

Seit Anbeginn der Ikonographie ist in Indien das Thema Körper zentral in jeder Überlegung über die Metaphysik des Seins. Nur wer die Grenzen kennt, kann sie überschreiten. Um die Grenzen des mikrokosmischen „Ich“ zu sprengen und die Universalität zu erfahren, ist das Sich Befinden im eigenen Leibe Grundlage. Man kann zwar nicht leibbehaftet ins Paradies gelangen, aber um das Paradies zu erfahren, muss man tief in den Leib hineingelangen. Diese Überzeugung wird unterstrichen in der gesamten indischen Philosophie, im Yoga-Tantra wird sie aber zu einer grundsätzlichen Aufgabe, die zur Methodik der Philosophie gehört, erhoben. Dabei geht es vor allem um die Erfahrung der Leibhaftigkeit durch das Gewahr Werden über seine Kontrasteigenschaften: Mann-Frau, Fülle-Leere und Akteur-Zuschauer sind die oft verwendeten Dualbilder aus den Yogaschriften. Der Begriff Tantra in der Yogaphilosophie bezieht sich auf alle Diskurse über die Dualität. Es geht nicht darum, die Dualität zu überwinden, sondern um ein einheitliches Erleben der dualen Bilder. Anhand von Metaphern aus diversen Yogaquellschriften sehen wir, wie der Rätsel des Körpers betrachtet wird.

Der phantomatische Körper der Philosophie

Marcus Steinweg

Es ist wohl so, dass jedes Subjekt, „bereits in seinem eigenen Sein aus sich selbst ‚herausgetreten’“ (M. Foucault) ist. In ihm öffnet sich eine Kluft, sodass es begreift, dass sich selbst zu denken – Selbstbewusstsein zu sein, sich selbst denkendes Denken – bedeutet, sich diesem Spalt oder diesem Riss zuzuwenden, dieser Wunde, die sich nicht schließt. Das macht aus ihm, wie Foucault sagt, einen „gefährlichen Akt“. Die Öffnung auf ein sich ihm verschließendes Element, das ihm volles Selbstbewusstsein verwehrt, geschlossene Selbstpräsenz, das, indem es ihm entgleitet, das Subjekt im Ganzen destabilisiert und aus dem Tritt kommen lässt, um es zu einem Selbstverständnis aufzurufen, das die Phantasmen gespensterloser Gegenwart und Selbstpräsenz hinter sich lässt. Dass das Subjekt sich auf der Spur seines Verschwindens bewegt, dass es auf der Linie seiner grassierenden Absenz auf sich wie auf sein gespenstisches Double trifft, heißt, dass es selbst ein Phantom ist, das nicht aufhört sich heimzusuchen, indem es sich mit Fragen durchlöchert, die es nicht beantworten kann.

Frans Poelstra zaubert #2

a performance by Frans Poelstra

Can a performance artist who is interested in daily dancing, making home made music, telling contemporary fables and trivial anecdotes do a lecture-performance within the frame of ‘philosophy on stage’? A performance artist who says that for him, performing is a matter of keeping channels open in order to think, to listen and to dream, without taking any responsibility for form, structure or interpretation. Who wrote for his first version of ‘Frans Poelstra zaubert’ (Impulstanz 2004, Freud Museum) the publicity text; How far can you go in sharing your thoughts with the public, especially when you have doubts about making art? Frans Poelstra puts himself on the ‘sofa’ and opens up his way of thinking, dangerously encircling a zero point of no return. In the meantime he has the task to improvise on very little material – and still he wants to create magic… also for people who refuse to believe in the magic of theatre.

Is it a very big change from Freud’s home with its Persian carpets to Haus Wittgenstein? (of which Wittgenstein’s sister Hermine wrote: Ludwig zeichnete jedes Fenster, jede Tür, jeden Riegel der Fenster, jeden Heizkörper mit einer Genauigkeit, als wären es Präzisionsinstrumente und in den edelsten Maßen, und er setzte dann mit seiner kompromisslosen Energie durch, dass die Dinge auch mit der gleichen Genauigkeit ausgeführt wurden.) Not for Jerry Goodenough – what’s in a name!, because he wrote: ‘Wittgenstein’s philosophy has been accused of being a kind of therapy in itself, to be worked through in order to cure philosophers of those incorrect ways of thinking which Wittgenstein saw as being at the root of all philosophical problems.’

So, can we imagine a sofa in Haus Wittgenstein? Let’s give it a try in a solo without any quote of someone else.

Thanks to Robert Steijn
www.unitedsorry.com

‚Frans Poelstra zaubert‘, Die Presse 12. 7. 2004

Geschlecht als Passion, Geschlecht im Affekt? Die Bewegungen der Seele in Embodiment-Debatten

Marlen Bidwell-Steiner (Lecture)

Gegenwärtig erleben wir in den Neurowissenschaften eine intensive Diskussion über das Zusammenspiel von Körperphysiologie, Emotionalität und Kognition. Insbesondere die Bedeutung der Affekte für vormals „reine“ neuronale Prozesse gilt als Innovation. Dieser „affective turn“ lässt Rückschlüsse auf die Konstruktion von Geschlecht zu, da in der europäischen Ideengeschichte Emotionalität weiblich und Kognition männlich codiert sind.

Ein Blick auf materialistische Klärungsversuche an der Schwelle zur Scientific Revolution offenbart, dass die Affiziertheit des situierten Körpers schon einmal heftig diskutiert wurde. Mit der Ausdifferenzierung der Naturwissenschaften im 17. Jahrhundert hat sich diese Spur tendenziell holistischer Leibvorstellungen verloren.

In der Konfrontation naturphilosophischer Texte aus der Spätrenaissance mit Theoremen der rezenten Kognitionswissenschaften sowie wissenschaftskritischen Positionen der Gender Studies zielt dieser Beitrag darauf, die Effekte materialistischer Konzeptionen auf die Konstruktion von Geschlecht präzise herauszuarbeiten. Ob die Bewegtheit der Seele als Emotion, als Affekt, oder als Passion konzeptualisiert wird, hat weit reichende Konsequenzen für Modelle des Geschlechtskörpers. Neben Phänomenen der longue durée treten im diachronen Vergleich semantische Brüche zutage. Insbesondere an solchen Leerstellen soll gezeigt werden, wie innerhalb einer Epoche entlang jeweils gleicher Paradigmen sowohl misogyne als auch philogyne Körperkonzepte argumentiert werden. Im Vergleich wird auch deutlich, dass trotz radikaler Paradigmenwechsel innerhalb der Naturwissenschaften rhetorische Strategien nach wie vor an der Wissensgenerierung beteiligt sind. Davon ausgehend soll an einzelnen literarischen Texten stichprobenartig veranschaulicht werden, wie die Welt- und Sprachbilder der zuvor analysierten faktischen Texte fiktional verarbeitet werden. Der Beitrag schließt mit einer Diskussion der Frage, wie feministische Wissenschaftstheorie jenseits von „Science Bashing“ (Sandra Harding) auf essentialistische Modelle des Geschlechtskörpers reagieren kann.

Schnitt X Stellen – zwischen Körper und Sprache, Sound und Bild

Georg Christoph Tholen // dieb13 (Dieter Kovacic)

Der ‚Wunderblock‘ (S. Freud) der Wiederholung markiert ein seltsames Fort-Da-Spiel zwischen Körper und Sprache, Zeichen und Bedeutung, Geräusch und Klang, Vergangenheit und Zukunft. Im Dazwischen kommen Distanznahmen hinzu, im Körper der Sprache und in der Sprache der Körper – jenseits von Fortschritt und Rückschritt, Anfang und Ende. Gibt es im Denken und in der Kunst wiederkehrende Gesten der Emphase, der Langeweile, der Erschöpfung? Gibt es Gesten der Hast, des Begreifens und des Schlussfolgerns, unvorhersehbar und stets unabgegolten? Intervalle und Interventionen artikulieren im Gefüge von Zeit und Raum Momente und Monumente der Imagination, die zugleich wegnimmt und vorwegnimmt.

Each Day in Life is History. The Rise and Fall

Anna Mendelssohn

„The Rise and Fall” bezieht sich auf einen Bewegungs- oder Entwicklungsverlauf bestimmter geschichtlicher Ereignisse – „The Rise and Fall of the Roman Empire“ oder „The Rise and Fall of the VHS tape“, ebenso wie „The Rise and Fall of Hosni Mubarak“. Im Englischen wird „rising” bzw. „falling” aber auch verwendet, um das allmorgendliche Aufstehen („rising out of bed in the morning“) bzw. das abendliche Zubettgehen („falling into bed at night“) zu beschreiben. So kann jeder Tag im Leben eines Menschen als historisches Ereignis gedacht werden. Was macht aber einen Moment zum historischen Moment? Wie denke ich, wie denkt mein Körper Geschichte und Geschichten? Ist es heute wieder an der Zeit, sich Geschichte/n zu erzählen – diskursiv und körperlich zugleich?

I did once a piece (walk and talk)

Solo lecture performance by Milli Bitterli

Wie lassen sich Befehle, Empfindungen und Bilder, die einem während des Tanzens durch den Kopf schießen, aussprechen oder beschreiben? Welche wunderbaren Phantasien bringen den Körper in Bewegung? Welche Art von Denken und Wissen entsteht durch Bewegung oder ist überhaupt nur durch sie möglich? Wie aufregend ist es eine Bühne zu durchschreiten? Lässt sich die Energie des Tanzens in Wort fassen?
(Milli Bitterli)

Milli Bitterli setzt sich mit der Transformation von Bewegung, Emotion und Gedanken in Sprache auseinander.

Diese lecture performance entstand in Rahmen von „walk and talk”. Eine Kuratierung von Philipp Gehmacher im Tanzquartier Wien. Mit freundlicher Unterstützung von MA7 Wien Kultur. Dank an Jack Hauser.

Körperlichkeit des Denkens: Erkennen als Begehen eines Weges. Wider das Vorurteil der Körperlosigkeit des Denkens als angebliches ‚Erbe der Philosophie‘

Sybille Krämer (Lecture)

Anders als das übliche Bild einer kategorischen Trennung von Körper und Geist – dem angeblichen ‚Erbe der Philosophie‘ – ist die Geschichte der Philosophie durchwoben mit Ansätzen, das Denken als einen körperlichen oder in Analogie zu körperlichen Bewegungen zu verstehenden Vorgang aufzufassen. Im Zentrum dieses auf Platon zurückgehenden Ansatzes, der sich über Descartes, Leibniz, Kant bis zu Wittgenstein fortsetzt, steht die Überzeugung, dass Fortschritte im Denken als Fortschreiten auf einem gerichteten Weg zu begreifen sind. Denken ist orientierte Bewegung. ‚Orientierung‘ aber ist die elementare, durch unseren Körper gestiftete Matrix zur Ordnung des uns umgebenden Raumes. Dem korrespondiert, dass die Spatialisierung das Grundmedium ‚abendländischen Denkens‘ bildet; dies kristallisiert sich aus in der ‚Erkenntniskraft der Linie‘, die in Schriften, Tabellen, Graphen, Diagrammen und Karten unser Wissen in Gestalt flächiger Konfigurationen zur Anschauung bringt und auch philosophische Konzepte des Geistes infiltriert. Was diese Konzeptualisierung des Denkens-als-Orientierung sowie die Verräumlichung der Gegenstände des Erkennens bedeuten für die Frage nach dem Verhältnis von Denken und Körperlichkeit, sei an ausgewählten Beispielen untersucht: Platons Konzept vom Erkennen als Aufstieg, Descartes‘ Nobilitierung der Imagination als intermediäres, körperlich/geistiges Vermögen, Kants Frage nach der Orientierung im Denken und seine leibbezogenen Definition des Raumes, Wittgensteins von Goethe entlehnte morphologische ‚Methode‘ simultaner Anordnung der Phänomene. All dies kulminiert in einem kartographischen Impuls als sublime Spur in der Geschichte des Philosophierens.

Mit dem Körper arbeiten

Thiemo Strutzenberger

Als Täter_innen, zum Beispiel auf einer Bühne, geben wir unsere Körper gemeinhin der Aufgabe hin, das auszudrücken, darzustellen und zu repräsentieren, was wir erkannt und erzählt wissen wollen. Sie sind künstlerischen Kontexten und jeweiligen, spezifischen Willen entsprechend angehalten sich unterzuordnen und so zu erscheinen. Der Körper-Geist-Dualismus erscheint da im Grunde ganz undurchbrochen; scheint sich bewährt zu haben. Oder wollen die Körper die Willen selbst?
Was heißt es für Schauspieler_innen ihre Körper, etwa allabendlich, auf die Bühne zu hieven und während Probenprozessen mit ihnen zu arbeiten? Was heißt das „physisch“? Was will man von ihnen? Warum wollen sie das mitunter nicht? Wie sollen sie angeblich sein? Stellen wir uns die Körper, die wir zum Beispiel auf Bühnen sehen, nicht als Ausdruck der Willen und Intentionen der jeweiligen Agierenden vor?
Wissen wir dabei nicht auch, dass, wenn wir denken und handeln, auf einer Bühne zum Beispiel, die Körper mitdenken und mithandeln werden? Dass wir nur unserer Körper wegen zur Anschauung kommen? Wie könnten die Körper denken, wenn wir sie ließen? Entkommen wir künstlerischen Dispositiven der Körperbeherrschung überhaupt? Und warum eigentlich ist der Körper Objekt dieses Willens zu herrschen? Kommen hier nicht auch die „kojotenhaften und vielgestaltigen Verkörperungen einer Welt als gewitzter Agentin und Akteurin“, von denen Donna Haraway spricht, ins Spiel? Also: Was tun wir unseren Körpern an, wenn wir mit ihnen arbeiten und spielen? Und wenn wir sie mitspielen lassen, was vermögen sie dann?

Der Schauspieler Thiemo Strutzenberger versucht sich in seiner Lecture-Performance diesen Fragen in einer ästhetischen (theatralen, textuellen, sound-spezifischen) Form zu stellen.

SPRECHSPIELEN – Eine sprachmusikalische Versuchsanordnung

Jens Badura // Florian Bogner // Lars Mlekusch

Wenn wir uns mitteilen, dann äußern wie uns – und eine wesentliche Äußerung ist diejenige, die wir klanglich erzeugen, mit und durch den Körper, den wir zu stimmen lernen, mit dem wir uns stimmlich artikulieren können. Doch was passiert beim Übergang von Denken zu Sprechen zu Sprachwahrnehmung? Was genau geschieht, wenn ein Gedanke lautlich wird und dann wiederum empfangener Gedanke?
Um diesem Zusammenhang nachzuspüren bringen wir sprachliche und musikalische Ausdrucksform zusammen, verbinden sie und ergründen so die Klangkräfte und ihre gedanklichen Ladungszustände. Sprechen als Instrument, sprechen im Instrument, instrumentiertes Sprechen, instrumentiertes Denken. All das wird zu Gehör kommen bei einer zwischen Lecture performance, Saxophonimprovisation und elektroakustischer Akzentuierung betriebenen Versuchsanordnung. Ein Gedankengang, in Sprache gefasst, gelangt in einen Klangkörper, wird spielbar, als Gedankenklangsprechspiel erfahrbar gemacht. Ein Katalysator für sinnliche Aufmerksamkeit entsteht, die eine Befragung in den Raum bringt, die auf das gerichtet ist, was sich zeigt wenn der Körper das Denken hörbar werden lässt und das Gehörte wiederum als Denken begreift.

Über die menschliche Stimme – und das ethische Potenzial einer Wiederentdeckung des Körpers in der Philosophie

Alice Lagaay (Lecture in englischer Sprache // in English)

Der Vortrag bietet zunächst einen Überblick über aktuelle Forschungen zur Philosophie und Phänomenologie der menschlichen Stimme und fragt, warum die Stimme – als Spur des Körpers in der Sprache – in den letzen Jahren für viele Philosophen scheinbar so interessant geworden ist. Steckt in der Stimme ein neues Potenzial für eine Theorie des Subjekts – und der Gemeinschaft –, die den Körper nicht verleugnet? Oder sind Theorie und Stimme vielleicht doch mit guten Gründen verdammt, grundsätzlich unvereinbar zu bleiben? Die Reflektion über diese Fragen führt zu einer Erfahrung der Grenze: Grenze der Theorie sowie auch Grenze des Körperbegriffs. Beide werden hier in ihrer Beziehung zu einander – sowie auch durch die besondere Form des Vortrags – womöglich neu bestimmt.

Verkörperte Denkakte – Denken, das sich gebärdet

Markus Brandstätter (Film) // Martina Cizek (Musik) // Alice Pechriggl // Fred Ilger (Lecture Performance)

Wenn der „geistige Leib“ denkt, agiert auch der Körper. Die Intervention geht zwei modi des philosophischen Denkens nach, in denen der Körper ganz unterschiedlich involviert und sowohl ver/störend als auch ordnend am Werk ist: dem Schreiben und dem Sprechen. Die Intervention besteht aus einer filmisch-musikalisch begleiteten Lecture Performance. Der filmische und der musikalische Beitrag bearbeitet, jeder auf seine Weise, das Material des gesprochenen und (auf Laptoptastatur) verschriftlichten Denkakts.

Neben der verrückenden Verfremdung der als „normal“ erscheinenden Vortragsweise durch die Performance, wird es darum gehen, den denkenden Leib bzw. Körper durch spezifische kinematographische und elektroakustische Techniken im Denkakt bzw. das Denken in seinem sich Gebärden manifest werden zu lassen; sie visuell-reflexiv zu re/generieren und den Körper/Leib als Bedeutung stiftenden („somatische vis formandi“) in Szene zu setzen. Es wird also darum gehen, ihn gleichsam zum – ansonsten „chronisch“ ausgeblendeten – Hauptakteur philosophischen Denkens zu machen…. [Schnitt, Körper, Zeit, Rhythmen des Denkens, „Gedankenresonanzräume“….]

voices of the unknown- the breath of silence

Barbara Kraus (Performance/Voices)
in Zusammenarbeit mit Andreas Hamza (Ton/Lifekomposition), Lisi Lutz (Probenarbeit), fishy (Raumgestaltung)

Du kannst Dich vom Leiden der Welt zurückhalten: Es liegt in deinem Ermessen, (…) aber vielleicht ist genau dieses Zurückhalten das einzige Leiden, das Du vermeiden könntest. (Franz Kafka)

Wie würde unser Umgang mit der Erde und uns selbst aussehen, wenn wir unseren eigenen Schmerz, über die Folgen unserer Handlungen nicht länger leugnen würden?

Was wäre, wenn wir die Tränen der Steine und Gletscher weinen könnten, den Erstickungstod der Bäume mitempfinden würden? Es lässt sich nicht länger leugnen: wir sind die Erde und wir behandeln uns mit großer Lieblosigkeit. In „voices of the unknown- the breath of silence“ rückt Barbara Kraus den kollektiven und persönlichen Schmerz um den Zustand der Erde in das Zentrum ihrer künstlerischen Auseinandersetzung. Sie stellt die vordergründige Eindeutigkeit und vermeintliche Zuordenbarkeit von Sprache in Frage und kreiert mit ihrer Stimme und ihren Bewegungen assoziative, traumähnliche Bedeutungsebenen eines kollektiv traumatisierten Körperempfindens.

In dieser Performance begibt sich Barbara Kraus in das Zentrum des Schmerzes und macht ihn mit künstlerischen Mitteln hör- und fühlbar, in der Absicht, diesen Schmerz durch Akzeptanz und Annahme in Handlungsfähigkeit zu transformieren. voices of the unknown- the breath of silence versteht sich als Manifest für emphatisches Da Sein.

Mit Dank an Christina Steinle, Friedl Sobota, Claudia Heu, Ulrike Gilmer-Tiefenthaler, Iris Koppelent, Pema Chödrön, Joanna Macy, Ivo Dimchev, ImpulsTanz, Tanzquartier Wien, GFK Peergroup, Deborah Bellamy, tiefenökologische Ausbildungsgruppe, Garten der Generationen, die Pippibande. fishy, ein leises danke für die langjährige künstlerische Zusammenarbeit. Allerherzlichsten Dank an meine Familie, meine FreundInnen und allen Menschen die mich auf meinem künstlerischen Lebensweg begleitet, unterstützt und inspiriert haben. Dieses Stück ist dem Wald, den Wiesen, den Hügeln, den Äckern, den Steinen, dem Bach, den Blumen, den Tieren, der Erde und dem Himmel meiner Kindheit gewidmet.

Young Performances: Die Wissenschaftler_in und ihr Double – Ein Fremd- und Selbstversuch.

Lecture-Performance by Rosa Danner // Esther Hutfless


(Foto: Christian König)

Eine Bühne, eine Sprache und Ansprache, ein Denken, ein Vortrag – der Körper herausgeputzt und dennoch in Abwesenheit glänzend?

Was löst die Präsenz des Körpers der Wissenschaftler_in aus? Der Körper als Resonanzkörper, dessen Stimme sich über ihn hinausträgt, der Körper, der atmet, schluckt, zittert? Der Körper, der andere Körper erreicht, die hören, sehen, fühlen,…

Die Lecture-Performance wird die Frage nach dem Körper der Wissenschaftler_in aufgreifen. Das Unheimliche seiner Präsenz, wie seiner Abwesenheit wird zum Thema werden.

Dabei wird die Figur des Doubles eine Rolle spielen. Mit Artaud reicht das Double des Theaters über das Mimetische hinaus und schafft seine eigene Realität. Das Double ist damit auch kein Ersatz für etwas Abwesendes, es ist eine vielgestaltige Dopplung: Die Stimme etwa, die aus dem Körper diffundiert, den Körper an den Signifikanten bindet. Der Atem des Körpers, der die Sprache, die Stimme unterbricht und den Körper zum Vorschein bringt.

Die Performance wird den Körper hervortreten lassen, ohne die klassische Differenz zwischen Körper und Sprache/Wissenschaft zu setzen. Dabei wird die Frage der Übertragung von Stimme und Atem/Sound aufgegriffen, die die Präsenz des Körpers im Zwischen der Körper ansiedelt; das was Körper tun, das, was ihren EigenSinn ausmacht, ereignet sich zwischen ihnen.

Die Lecture Performance arbeitet mit Text, Sprache, Stimme, Atem – mit Soundexperimenten und Störungen, die sich der Übertragung zwischen den Performer_innen und dem Publikum öffnen und versucht die Möglichkeiten dessen auszuloten, was zwischen Körpern entstehen kann.

Young Performances: Viel zu vieles zeigend, viel zu viel versteckend. Lieder in Symbolen und Diabolen.

Vanja Kirchhoff

Was tue ich, wenn ich im Dunkeln taste. Ich schreibe keine Traktate, ich baue keine Sternwarten, ich spiele kein Theater – dazu fehlen Zeit und Mittel.

Ich singe ein Lied und das reicht für alles Erstgenannte.

Man könne der Welt mit vier gereimten Zeilen nicht gerecht werden? Dann kann man ihr eben nicht gerecht werden.

Ich kann zu meiner Rechtfertigung nur bringen, was mein Maß trägt.

Gerade auf die simple Form aber, beschränkt mich die Lust nach Allem. Je einfacher sie ist, desto mehr kann in ihre Fänge geraten. Lieder haben die Gestalt eines Menschen und nach diesem Wort soll auch die Welt geschaffen sein – zu ihrer beider Kommunion.

Ja, natürlich führt solch universelle Lust innerhalb des Betriebs gerade in die Einsamkeit – aber was soll’s. Einzig aus ihr heraus lässt sich singen.

Romantisch? Gewiss. Die Ambitionen rühren aus dieser Richtung – woher sonst? – , denn ich möchte ungebrochener Hoffnung den Zauberstab der Analogie schwingen, erlebe sogar, wie er mich schwingt.

Nur der Resonanzraum ist ein anderer, er schürt die Vieldeutigkeit zur Zweideutigkeit, schrumpft den Leib zum Zeichen, löscht den Sinn der Hieroglyphe, zwingt den Zauber zur Magie, erschwert das Atmen, vermischt, was er getrennt hat, lässt spannungsvolle Wolken sich bis zum letztlichen Stillstand zusammenziehen und hält uns in einem Dilemma fest, das wir erfahren, sofern es uns nicht betäubt hat – aber bei alldem und unter diesen verzogenen Himmeln hat er mich nicht am Singen gehindert.

Vanja Kirchhoff (Gesang, Klavier, Texte und Musik) spielt im Rahmen des Programms von Philosophy on stage #3 folgende seiner Lieder: Grausame Frau, Gleichnis Vom Verspäteten Sohn, Lied Vom Fensterbrett.

Young Performances: an deiner Zunge

Bernadette Anzengruber


(Foto Diego Mosca)

Jedes Sprechen ist als Aneignungsprozess unabschließbar. Selbst verinnerlichte Modi des Sprechens bewahren Porosität und bleiben bis zu einem gewissen Grade das Sprechen des Anderen im eigenen Sprechen. Somit bleibt jedes Sprechen als Raumnahme zu begreifen und ist nicht unantastbar.

„an deiner Zunge“ verschreibt sich konkret zwei vermeintlich konträren Praktiken der Sprachäußerung – dem Zitat im wissenschaftlichen Vortrag und dem Phänomen der Glossolalie – und versucht diese im Handlungsfeld des jeweils anderen zu verorten. Der Körper wird hierbei als unhintergehbaren Akteur wahrgenommen.

„an deiner Zunge“ ist als eine Annäherung an Wittgesteins Sprechen, ausgehend von der 1929 von ihm gehaltenen Lecture on Ethics, zu verstehen. Der in englischer Sprache verfasste Vortrag verweist nicht nur auf die Widerständigkeit der Sprache in einem gebrochenen Übersetzungsprozess, sondern macht in seinen Skizzen und Zwischenfassungen ersichtlich, dass jedes Denken vor allem ein Handeln darstellt, welches nicht linear verläuft, sondern sich im Raum ausbreitet, springt, flieht, auftaucht oder abhanden kommt.

Ein einfaches „Ludwig!“ hätte vor rund 80 Jahren im Haus Wittgenstein seine Wirkung getan, heute scheint das Zitat die erfolgversprechendere Methode, um Wittgensteins Schweigen zu brechen. Doch damit wollen wir uns nicht begnügen. Dem zu Folge sind unterschiedliche Modi der Anrufung nötig, um Ludwig Wittgenstein den Bühnenraum, welcher den Körper der Perormerin mit einschließt, betreten zu machen.

„Ich stelle mir vor, ich zitiere nicht mehr, sondern Wittgenstein spricht durch mich: Es sind nicht seine Worte die ich spreche, sondern seine Stimme, sein Tonfall, seine Gesten und sein Handeln, sein Stottern, seine Erregung, seine Pausen und sein Schweigen, die mit mir und durch mich sprechen. Wittgenstein kommt, er spukt mir im Kopf und im Rest des Körpers, der ich bin, herum.“

Während Wittgenstein 1929 in seinem Verhandeln um Modelle von Wissens- und Glaubensproduktion zu dem Schluß kommt, sich dem Nonsens zuzusprechen, wird er ihnen 2011 im Gefüge mit Bernadette Anzengruber den Kontrollverlust und Exzess versprechen.

Young Performances: The Last Unicorn

Heidi Wilm // Hugo Vieria da Silva

Eine Video-Installation als Kommunikation zwischen Räumen und Zwischenräumen. In filmischen Recherchen suchen wir einen Zugang zum Rhythmus verschiedener Räume und Körper, um anschließend einen installativ-performativen Dialog mit den Räumen und Körpern im Haus Wittgenstein herzustellen.
Finden wir einen Überschuss in den Körpern, der sie in Bewegung setzt? Welchen Rhythmus hat das Wachsen? Wie sprießt ein Körper? Was ist ein destabilisiertes Bild? Noch ist alles möglich: Opake Bilder, die nichts zu zeigen scheinen, und uns trotzdem „etwas“ sehen lassen. Oder auch durchsichtige Bilder, die sich vollkommen entblößen, ohne sich dabei zu Eindeutigkeiten zu formieren. Räume diesseits und jenseits der Repräsentation, die das „Sehen als“ herausfordern.

ZUM RAUM WIRD HIER DER LEIB. Mythos und Wahrheit vom vergessenen Körper des Philosophen

Konrad Paul Liessmann // Violetta L. Waibel

Philosophie findet statt. Philosophy on Stage provoziert durch die Andeutung, dass Philosophie an Orten stattfinden kann, die zumindest unüblich, wenn nicht ungehörig sind: auf der Bühne zum Beispiel. Aber was bedeutet es für die Philosophie, sich auf eine Bühne zu begeben, und was wären die anderen Orte der Philosophie? Man könnte, grob, tatsächlich drei Orte nennen, an denen philosophiert werden kann, ohne dass dies genuine Orte der Philosophie wären. Es sind immer besetzte oder geborgte Orte, die dennoch ihre Wirkungen auf das Denken und seine Haltungen haben. Diese drei Orte sind: Der Marktplatz, das Katheder und die Bühne.
Den Marktplatz borgte sich die Philosophie von den Händlern, um überhaupt erst einmal ins Geschäft zu kommen. Da am Markt getauscht und gefeilscht wird, übernimmt die Philosophie diese Bewegungsformen: sie dialogisiert und verwickelt sich in Widersprüche, sie tauscht Argumente. Ihre Körperhaltung und damit ihre Denkweise ist die von Marktteilnehmern: Gehen, sitzen, stehen, reden, gestikulieren, feilschen, warten, hoffen, täuschen – alles ist möglich. Das Katheder hingegen ähnelt der Kanzel. Es könnte als deren säkularisierte Form gedeutet werden, erhoben über die Hörer, ein Pult, das Schutz gewährt, ein Sprechen zuerst im Sitzen, dann vor allem im Stehen. Nur die Arme sind noch frei, um das zu unterstreichen, was nun nicht angeboten, sondern vorgetragen, gelehrt, doziert wird. Und die Bühne schließlich stiehlt die Philosophie vom Theater, das Denken will nun ein Drama, also eine Handlung werden. Solch eine Bühne kann weit definiert werden, vom Theatrum mundi bis zum Kellertheater reichen die Spielräume der Philosophie. Hier ist der Körper im Einsatz, denn nur er verschafft jene Bühnenpräsenz, ohne die nun nicht gedacht werden kann. Keine Bühne aber ohne Inszenierung, und keine Inszenierung ohne Schein. Auf der Bühne werden der Körper und sein Denken zur Fiktion.
Die Räume des Denkens modifizieren so nicht nur dieses selbst, sondern auch den Leib, der das Denken in all seinen Formen begleiten muss. Raum und Leib bilden eine Symbiose, die nicht nur Körperhaltungen, sondern auch die Stile des Philosophierens bestimmt. Dies ist die erste These.
Philosophieren, das sich mitteilt, ist Sprechen. Es gibt keine gesprochene Sprache ohne den Körper, ohne die Körperaktion. Was verraten die Stile des Denkens über die Körper der Philosophen, über den Körper, den der Philosoph implizit denkt und explizit mitdenkt?
Fichte, mit einer auffälligen rhetorischen Gabe ausgestattet, dessen machtvolles Wort vielfach gelobt wird, unternimmt wohl als erster in der Geschichte der Philosophie eine, wenn auch recht dürr abstrakte, Deduktion des Körpers als Bedingung der Möglichkeit rechtlichen Zusammenlebens. Fichte, der wortgewaltige Redner, der genau auf seine Hörer und Leser achtete, holte den Marktplatz in den Hörsaal.
Kant, ein großer Geist in einem schwachen Körper. Seine hypochondrische Sorgsamkeit für den Körper lässt ihn 80 Jahre alt werden. Der elegante, zerbrechliche Magister braucht das Katheder, das seinem gewichtigen Wort zusätzlich Autorität verleiht. Hegels Satzbau überbietet bei weitem die Komplexität denjenigen Kants. So mühevoll es ist, die geschriebenen Sätze dem Verständnis zu öffnen, so mühselig muss es gewesen sein, seinen Vorlesungen, seinem schleppenden Sprechfluss zu folgen. Auch er ein Redner, der den erhöhten Ort braucht, um seinem Wort Gehör zu verschaffen.
Schopenhauers Philosophie kritisiert scharf das abstrakte Satzgewirre der Idealisten, aber auch den trocken abstrakten Kategorienbau Kants; der Wille des Körpers ist ihm der eigentlichere Wille der Philosophie. Er bereitet den Weg, den sein „Meisterschüler“ Richard Wagner fortführt. Sehen, Hören und Gestik gilt es, in ihre ursprüngliche Einheit zurückzuführen. Die Bühne ist der Ort für das Sagen, das in den Raum hinausschallt, um als wahres Wort-Ton-Raum-Gebilde gehört, gesehen, gespürt zu werden.
Komplexe Satzbauten, Wortungetüme lassen sich lesen, konzentriert, im stillen Kämmerlein, im abgeschotteten Raum. Sie sind raumvergessen, körpervergessen, nicht gesprochene, nicht artikulierte Sprache. Wenn sie doch erklingen im Hörsaal, so ist der Sprecher zurückgenommen zu sich, bei sich, aber nicht beim Hörer. Der Katheder-Redner lenkt den Gedankenstrom. Wer spricht, zu seinen Hörern spricht, die Hörer anspricht, weiß um den Körper als dem Instrument der Sprache, der Worte der Philosophen, die sich mitteilen. Das weiß der Redner, der für den Marktplatz spricht, das weiß der, der über Bühnenpräsenz verfügt, bei sich ist und bei den Hörern. Dies gilt es zum Zweiten zu zeigen.

Young Performances: Wiederaufführung: Die zweifache Séance

Angelika Seppi // Veronika Maurer // Georg Pöchhacker // Rudi Risatti // Sarah Straub // Simone Borghi

Was die (platonische) Wahrheit voraussetzt: ein bestimmtes Band von aletheia und mimesis, das verspricht, dass auf dem Weg vom eidos zum logos zur Schrift die Ähnlichkeit / Übereinstimmung zwischen dem, was ist und seiner Repräsentation gewahrt bleibt. Worin das Theater / die Literatur die Wahrheit herausfordert: im Vollzug einer mimesis, die sich auf nichts, was ist, zurückführen lässt; die eine Verschiebung, Ersetzung und Verdopplung im Spiel hält fern einer Wahrheit; die ein Unentscheidbares einführt, das die hierarchische Ordnung der kategorialen Gegensatzpaare erschüttert. „‚[…] das Theater zeigt nicht ‚die Sachen direkt’, es stellt sie nicht mehr vor, es zeigt eine ‚Wiederaufführung’, erweist sich als Fiktion, zeigt weniger die Sachen oder deren Bild, als daß es eine Maschine in Gang setzt.“ [Derrida] Die Philosophie – die von der wir träumen – ebenso. Sie geht vom Inzwischen aus, holt die Körper der Mimen auf die Bühne und lässt sie sein, was sie sind: ex-tensive, ex-ponierte, ex-plizite Vollzugsstätten der Begegnung, der Berührung, des Bedenkens. In ihrem UND UND UND (Prinzip der Konnexion), in ihrem WIEDER und WIEDER anders (Prinzip der supplementären Wiederholung) leisten sie hartnäckig Widerstand gegen das Regime eines Sinns. Ihr Widerstehen ist Öffnung auf ein unvordenkliches Gegeben sei.

Darum wird es gegangen sein: die Maschine in Gang zu halten in einer Inszenierung, die den performativen Raum als Vollzugsgeschehen erfahrbar macht, an dem alle Anwesenden daran beteiligt sind, dass etwas passiert, was sich vielleicht nur zeigen lässt, am Rand der Worte, wo das Schweigen, die Stille, das Weiß sich brechen – entfalten – kann.

Young Performances: Counter-Body (Interaktive Medieninstallation)

Herwig Kopp

Verkörpern wir überhaupt, was wir wissen möchten – was wir ipse fecit zu denken vermögen – wenn die fundamentale Macht herrschender Diskurse – uns einst Gewicht gegeben haben wird – sich selbst jenseits der Norm re-iterierender Exzesse körperlich denken zu dürfen? Der Körper in der Abwesenheit eines „Geistes“ als Rückschlag der Anwesenden, als Sündenbock, als Maschine im Geist eines Körpers, als Widerstand, als Tangente in den Kreisen kollektiver Bedeutungsentstehung. Die Mikropolitik der Auflösung als Mikrotraumas der Körperschaft. Die Gewalt der Diskursökonomie und Paradigmenwechsel als Sparringpartner des Verstehens und Vergehens. Eine Einladung zum Exzess, zur Interaktion mit Verstossenem, Angeschlagenem und Vorgeschlagenem – eine fragmentierte Konfrontation mit den Normen einer Kultur von Übergängen.

Zwischen Sagen und Zeigen. ?? (jikaku): Selbstbewusstsein, Selbstwahrnehmung, Selbstgewahren

Rolf Elberfeld

Das Wort „jikaku“ besitzt in der japanischen Sprache verschiedene Bedeutungen. Zum einen wird es von Nishida Kitaro verwendet für die Übersetzung des deutschen Begriffs „Selbstbewusstsein“. Zudem schwingt in dem Wort auch die buddhistische Bedeutung des Erwachens mit, was im Deutschen als „Selbstgewahren“ wiedergegeben werden könnte. Darüber hinaus kann das Wort auch im Sinne der sinnlichen „Selbstwahrnehmung“ verstanden werden. In den drei Übersetzungen zeigen sich nicht nur verschiedene begriffliche Bedeutungen, sondern auch verschiedene leibkörperliche Erfahrungsweisen, die in der Präsentation gezeigt werden sollen

IN ACTU – Movement as Memory. Installation

Ruth Hanko

In dem Versuch, Kräfte und Beziehungen von Körpern, Gedanken, Sprache und Sprechenden spürbar, sowie Gesten, Gebärden und Unsichtbares gleichermaßen sichtbar zu machen, erkundet Ruth Hanko in ihren Zeichnungen „in actu“ das Wesen der Form, der Bewegung und des Miteinander des Denkens. Als Beobachterin und Zeichnerin des ART_LAB1, dem ersten Workshop des FWF-Forschungsprojektes „Generating Bodies“, der sich die sich zentralen philosophischen Fragen von Philosophy on Stage#3 im Format gemeinsamer Diskussionen zur Aufgabe gemacht hat, hat Ruth Hanko das Gesehene, Gehörte und Gespürte nicht nur am eigenen Körper wahrgenommen, sondern im Blindzeichnen, „Kontakten“ auf die Fläche der Zeichenrolle übertragen. Angetrieben von der Energie der denkenden und diskutierenden PhilosophInnen und KünstlerInnen des ART-LAB1 ist eine 16m lange Rolle entstanden, die von rechts nach links – gemäß der Leserichtung der hebräischen Sprache – mit-schreibt und mit-zeichnet. Die Zeichnung als Kon-Takt versammelt das Miteinander der Körper der Denkenden, sowie auch ihr Nebeneinander zu einem Corpus des Mit-Denkens. Verstärkt wurde das Experiment des Mit-Zeichnens durch Gedanken, Kommentare und Zitate aus den Diskussionen, die die TeilnehmerInnen am ART-LAB1 „in actu“ auf die Rolle geschrieben haben: Movement as Memory.

Lecture (as) Performance: Martin Heideggers Auf-der-Bühne-sein. Ein kurzer Vortrag (über eine Arbeit über Vorträge).

Corinne Maier

Das theatrale Genre der Lecture Performance lotet Grenzen zwischen (Kunst-) Praxis und Theorie aus, Martin Heidegger hat in seinen frühen Vorträgen die Philosophie ‚zurück ins Leben geholt‘. Schnittstellen zwischen beiden Phänomenen gibt es einige – Grund genug, sie als Diplomarbeitsthema zu untersuchen. Da in einer schriftlichen Arbeit über mündliche Vorträge aber nicht alles gesagt und zitiert werden kann, wird sie mit Hilfe des Publikums in einer Vortrags – Miniature fortgesetzt…

Diese entstand im Januar 2009 als praktischer Teil einer Diplomarbeit im Studiengang “Kulturwissenschaften und ästhetische Praxis” mit Schwerpunkten Theater, Medien und Philosophie. Ausgangsmaterial für die Performance waren Texte der Arbeit und andere Texte über Vorträge. Die Verwandschaft eines Vortrags mit einem theatralen Geschehen wird explizit erfahrbar gemacht und die unmittelbare Beeinflussung des Gesagten durch performative Faktoren lustvoll vorgeführt.

Es geht implizit und explizit um die Verbindung von Theorie und Praxis, um den Körper, der in der Philosophie und in jeder Wissenschaft immer dabei ist, aber selten thematisiert wird sowie um die Theorie, die auch hinter jeder körperlichen Darstellung steckt. Ein Interview mit Hermann Heidegger macht deutlich, wie schwierig diese Verbindung mit Worten zu beschreiben sein kann…

Young Performances: Todeskino. Filminstallation

Andreas Puschl

The works of Todeskino follow the vision of a one person collective but are much more a process than the expression of a particular artist’s „self“. “Self alteration, not self expression”, as John Cage puts it. The transgression of humanity through work on a concrete material, artistic, manual, cognitive, social is Todeskino’s way of “psychoemancipation”. Certain ideas gained flesh in this work, the acceptance of nothing but heterogenity as a basis of creation according to Bataille, the conception of this heterogenity as nothing but a process of occasional entities according to Whitehead. Jungian psychology teaches the rest by emphasizing on the symbolic life as the only transgressive possibility of human experience contrary to all late modern forms of weak nihilism that claim a different predomination of the “sign” for all rolls of constructive or desconstructive understanding, mixing it up fatally with the symbol. For Todeskino no transcendental interpretations of the “self” as a function or machine has importance. The whole cinematic process is a process of significant experience. Like two great avantgarde filmmakers knew, Stan Brakhage and Jean Luc Godard: “All there is is light” and “art is not the reflection of reality, it is the reality of a reflection…”
The protagonist of a cinematic theory of reality was already Heraclit before this kind of experimental existence and science was suppressed by academic thinking. All attempts of reversing this tradition only lead into the labyrinth of posthuman interpretations instead of giving Lucifer’s wings to human understanding and creation.

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„Soundcheckphilosophiemaschine“

Rainer Totzke / Kurt Mondaugen

In seiner Dissertation („Buchstaben-Folgen“, Weilerswist 2004) widmete sich Rainer Totzke der Reflexion der Mediendifferenz von Mündlichkeit und Schriftlichkeit in philosophischer Perspektive und fragte nach den Konsequenzen, die sich für das Selbstverständnis von Philosophie ergeben, wenn man auf Mündlichkeit und Schriftlichkeit als ihre verschiedenen Darstellungsmedien reflektiert. Der in diesem Zusammenhang geprägte programmatische Begriff eines „Soundchecks in der Philosophie“ wurde für ihn zugleich zum Anlass und zum Leitbegriff für die Entwicklung eigener Philosophie-Performances. Diese realisiert er in seiner doppelten Identität als Philosoph (Rainer Totzke) und als philosophisch-literarischer Sprech-Performer (Kurt Mondaugen). Unter dem letzteren Pseudonym ist Totzke schon seit längerem literarisch und künstlerisch aktiv – als Buchautor ebenso wie in den Formaten von Performances und Spoken-Word-Literatur.

Die Performance „Soundcheckphilosophiemaschine“ unternimmt auf der Bühne exzessive Sprecherprobungen an und mit eigenen und fremden philosophischen Texten, insbesondere Texten, die sich mit dem Thema Sprache und deren performativen Dimensionen beschäftigen. Diese Texte werden expressiv in verschiedenen stimmlichen Modulationen und mit wechselnden Identitäten gesprochen, umgesprochen, gesampelt, de- und rekontextualisiert, technisch (mit Loopstation) verfremdet und überlagert. Dabei geht es Totzke/Mondaugen darum, eigene Erfahrungen im Umgang mit diesen (fremden und eigenen!) Texten zu machen, sich in diese Texte einzusprechen, sie sich einzuverleiben und diesen experimentellen Prozessen zugleich als Ereignis für die Zuschauer/Zuhörer stimmlich-leiblich präsent zu machen. Die Performance zielt auf kreative Selbst-Irritation und zugleich auf die Irritation des Publikums. Sprecherfahrungen von und Sprecherwartungen an Philosophie werden thematisiert und gebrochen – mit dem Ziel, das Publikum in die existentielle Situation des Philosophierens zu versetzen.